Wenn an einem Freitagnachmittag im Volksgarten hinter der Bimstation ein Haufen schwarzgekleideter Menschen umfallen, ein Grabstein und Kreuze platziert werden, kann das schon mal verstörend auf Passant*innen wirken. Initiiert hat die Performance die oberösterreichische Ortsgruppe der Extinction Rebellion, die unter anderem mit kreativen Formen des Protests auf die Bedrohungen durch den Klimawandel aufmerksam machen möchte.
Am Anfang ist alles, wie es sein sollte, an einem Freitagnachmittag in Linz. Menschen warten auf die Straßenbahn, fahren mit dem Fahrrad, telefonieren, ein paar Kinder spielen. Dann ein Pfiff. Knapp zehn Menschen gehen zu Boden, bleiben liegen, mitten auf dem Gehweg im Volksgarten. Passant*innen schrecken sich, bleiben stehen, schauen interessiert, zeigen auf die hinter den Performenden montierten Schilder. „Klimanotstand ausrufen jetzt!“ steht da, „ Der Hut brennt“ und „Extinction Rebellion“. „Ah, schau, die protestieren“, sagt eine ältere Dame zu ihrer Freundin.
Sterben alsProtestaktion
Ja, das tun sie – und sie bedienen sich dabei des Prinzips des Die-ins, einer Form des gewaltfreien Widerstands, der seinen Ursprung in der Student*innenbewegung der 68er hat und seitdem von Aktivist*innen bevorzugt dann zum Einsatz kommt, wenn sie auf besonders lebensbedrohliche oder unmenschliche Sachverhalte aufmerksam machen wollen. Und was würde sich angesichts der Klimakrise mehr anbieten um die Öffentlichkeit für das Thema zu sensibilisieren als gemeinschaftliches simuliertes Sterben, an einem Ort, wo gerade noch alle friedlich, vielleicht sogar ein Eis essend, ihrem Alltag nachgegangen sind. Sie erregen Aufmerksamkeit, wie sie da so auf dem Boden liegen, schwarz gekleidet, vor ihren bunten Transparenten.
Ein paar Minuten vergehen, immer mehr Schaulustige sammeln sich, während die Akteur*innen regungslos verharren. Dann erheben sich zwei von ihnen, beginnen mit ihrer schauderhaften Inszenierung: Mit Kreide zeichnen sie die Umrisse der Toten nach, wie im Krimi, Kreuze werden hinter ihnen platziert und Rosen auf ihre Körper gelegt. Ein Grabstein wird aufgestellt: „RIP HOMO S. SAPIENS, 300.000 v. Chr. – 2100 n.Chr.“ steht darauf. Eine Stimme erhebt sich und verkündet die Forderungen der Extinction Rebellion, einer internationalen und partizipativen Massenbewegung der Zivilgesellschaft, die sich über Ortsgruppen organisiert und zum Widerstand gegen die aktuelle Klimapolitik aufruft.
Sie plädiert dafür, dass die Regierungen endlich Klartext reden, dass die Auswirkungen unserer derzeitigen ökologischen Krise nicht mehr verharmlost werden, sondern das Wirken gegen den Klimawandel erste Priorität sein sollte. Sie fordert ebenso internationale Zusammenarbeit, um die Treibhausgasemissionen bis 2025 auf null zu bringen und um weitere Umweltzerstörungen in den Meeren und an Land zu stoppen. Und außerdem: die Schaffung einer Bürger*innenversammlung, einerseits als Ansprechmöglichkeit, anderseits auch als Kontrollorgan der Regierungen – ein klimabewusster Gegenpol aus der Zivilgesellschaft zur Lobby der Großkonzerne und Strippenzieher hinter unseren Politiker*innen.
Es geht ums Überleben
Denn für die Extinction Rebellion geht es um nichts weniger als den Fortbestand der Menschheit:
„Die Wälder brennen, Arten und Ökosysteme sterben. Die Zukunft des Lebens wie wir es kennen ist in höchster Gefahr. Viele Millionen Menschenleben sind bedroht: Die Folgen von Hitze, Dürre und Artensterben werden Hunger und sozialer Kollaps in großen Teilen des Planeten sein, die Auswirkungen davon überall spürbar sein. Regierungen missachten diese seit vielen Jahren bekannten Tatsachen und beharren auf einem System, das die Lebensgrundlagen der kommenden Generationen vernichtet.“ Klarere Worte als hier auf der Homepage der Extinction Rebellion sind schwer zu finden.
Zurück in den Volksgarten: Was passieren wird, wenn wir unseren Planeten weiterhin so zu Tode wirtschaften, zeigt die Perfomance ebenso. Die Toten werden mit Zetteln dekoriert, die ihre Sterbeursachen verkünden. Verhungert und Erfroren können die Zuseher*innen da lesen, ebenso auch Infektion mit Milzbrand-Bakterien aus dem getauten Permafrost, während nun statt der Forderungen der Extinction Rebellion weitere Fakten über das Klima vorgelesen werden. Nach gut fünfzehn Minuten verkündet ein fröhlich-schwermütiges Gitarrenzupfen das Ende des verstörenden Spuks. Die Toten erheben sich und ab jetzt werden Flyer verteilt, wird das Gespräch mit Interessent*innen gesucht. Viele gehen vorbei, aber auch viele bleiben stehen. Diskussionen und Dialoge entwickeln sich, Bestürzung macht sich bei manchen breit.
Schnell ist klar: Wie sehr der Hut brennt, wie schlimm es wirklich schon um die Menschheit steht, das ist vielen nicht bewusst. Da werden Köpfe geschüttelt, nicht aus Unverständnis, sondern aus Ratlosigkeit, aus Verzweiflung. Und genau darum sind Aktionen wie diese so wichtig. Veränderung kann erst dann passieren, wenn wir als Gesellschaft, als Menschheit den Ernst der Lage tatsächlich begriffen haben. Glaubt man der Extinction Rebellion, sind es „nur“ 3,5% der Bevölkerung, die mobilisiert werden müssen, um Systemveränderungen herbeizuführen. Und Mobilisierung erfordert nun mal das Aufmerksammachen auf Missstände, so sehr die Erkenntnis manche auch schmerzen mag.
Sind wir die letzte Generation?
Und auch nachdem die Gespräche vorbei sind, die Rosen verschenkt und der Grabstein eingepackt ist, hat die Ortsgruppe OÖ dazu an diesem Tag einen großen Beitrag geleistet. Denn Sind wir die letzte Generation? und Act now wird in großen bunten Buchstaben zwischen den Umrissen der Toten stehen geblieben sein, bis der nächste Sommerregen die Kreide weggewaschen hat. Und hoffentlich noch einige Passant*innen zum Nachdenken angeregt haben.
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Unsere fleißigen Schreiberlinge sind ja alle freiberulich tätig und derzeit in anderen Projekten schwer involviert. Deshalb macht der Blog hier eine kleine Pause. Aber keine Sorge: Alle Tipps bleiben natürlich online und sobald es weitergeht, geben wir euch Bescheid. In der Zwischenzeit könnt ihr gerne bei Fräulein Flora Salzburg vorbeischauen. Dort steppt der Bär umso mehr.
Wenn an einem Freitagnachmittag im Volksgarten hinter der Bimstation ein Haufen schwarzgekleideter Menschen umfallen, ein Grabstein und Kreuze platziert werden, kann das schon mal verstörend auf Passant*innen wirken. Initiiert hat die Performance die oberösterreichische Ortsgruppe der Extinction Rebellion, die unter anderem mit kreativen Formen des Protests auf die Bedrohungen durch den Klimawandel aufmerksam machen möchte.
Am Anfang ist alles, wie es sein sollte, an einem Freitagnachmittag in Linz. Menschen warten auf die Straßenbahn, fahren mit dem Fahrrad, telefonieren, ein paar Kinder spielen. Dann ein Pfiff. Knapp zehn Menschen gehen zu Boden, bleiben liegen, mitten auf dem Gehweg im Volksgarten. Passant*innen schrecken sich, bleiben stehen, schauen interessiert, zeigen auf die hinter den Performenden montierten Schilder. „Klimanotstand ausrufen jetzt!“ steht da, „ Der Hut brennt“ und „Extinction Rebellion“. „Ah, schau, die protestieren“, sagt eine ältere Dame zu ihrer Freundin.
Sterben als Protestaktion
Ja, das tun sie – und sie bedienen sich dabei des Prinzips des Die-ins, einer Form des gewaltfreien Widerstands, der seinen Ursprung in der Student*innenbewegung der 68er hat und seitdem von Aktivist*innen bevorzugt dann zum Einsatz kommt, wenn sie auf besonders lebensbedrohliche oder unmenschliche Sachverhalte aufmerksam machen wollen. Und was würde sich angesichts der Klimakrise mehr anbieten um die Öffentlichkeit für das Thema zu sensibilisieren als gemeinschaftliches simuliertes Sterben, an einem Ort, wo gerade noch alle friedlich, vielleicht sogar ein Eis essend, ihrem Alltag nachgegangen sind. Sie erregen Aufmerksamkeit, wie sie da so auf dem Boden liegen, schwarz gekleidet, vor ihren bunten Transparenten.
Ein paar Minuten vergehen, immer mehr Schaulustige sammeln sich, während die Akteur*innen regungslos verharren. Dann erheben sich zwei von ihnen, beginnen mit ihrer schauderhaften Inszenierung: Mit Kreide zeichnen sie die Umrisse der Toten nach, wie im Krimi, Kreuze werden hinter ihnen platziert und Rosen auf ihre Körper gelegt. Ein Grabstein wird aufgestellt: „RIP HOMO S. SAPIENS, 300.000 v. Chr. – 2100 n.Chr.“ steht darauf. Eine Stimme erhebt sich und verkündet die Forderungen der Extinction Rebellion, einer internationalen und partizipativen Massenbewegung der Zivilgesellschaft, die sich über Ortsgruppen organisiert und zum Widerstand gegen die aktuelle Klimapolitik aufruft.
Sie plädiert dafür, dass die Regierungen endlich Klartext reden, dass die Auswirkungen unserer derzeitigen ökologischen Krise nicht mehr verharmlost werden, sondern das Wirken gegen den Klimawandel erste Priorität sein sollte. Sie fordert ebenso internationale Zusammenarbeit, um die Treibhausgasemissionen bis 2025 auf null zu bringen und um weitere Umweltzerstörungen in den Meeren und an Land zu stoppen. Und außerdem: die Schaffung einer Bürger*innenversammlung, einerseits als Ansprechmöglichkeit, anderseits auch als Kontrollorgan der Regierungen – ein klimabewusster Gegenpol aus der Zivilgesellschaft zur Lobby der Großkonzerne und Strippenzieher hinter unseren Politiker*innen.
Es geht ums Überleben
Denn für die Extinction Rebellion geht es um nichts weniger als den Fortbestand der Menschheit:
„Die Wälder brennen, Arten und Ökosysteme sterben. Die Zukunft des Lebens wie wir es kennen ist in höchster Gefahr. Viele Millionen Menschenleben sind bedroht: Die Folgen von Hitze, Dürre und Artensterben werden Hunger und sozialer Kollaps in großen Teilen des Planeten sein, die Auswirkungen davon überall spürbar sein. Regierungen missachten diese seit vielen Jahren bekannten Tatsachen und beharren auf einem System, das die Lebensgrundlagen der kommenden Generationen vernichtet.“ Klarere Worte als hier auf der Homepage der Extinction Rebellion sind schwer zu finden.
Zurück in den Volksgarten: Was passieren wird, wenn wir unseren Planeten weiterhin so zu Tode wirtschaften, zeigt die Perfomance ebenso. Die Toten werden mit Zetteln dekoriert, die ihre Sterbeursachen verkünden. Verhungert und Erfroren können die Zuseher*innen da lesen, ebenso auch Infektion mit Milzbrand-Bakterien aus dem getauten Permafrost, während nun statt der Forderungen der Extinction Rebellion weitere Fakten über das Klima vorgelesen werden. Nach gut fünfzehn Minuten verkündet ein fröhlich-schwermütiges Gitarrenzupfen das Ende des verstörenden Spuks. Die Toten erheben sich und ab jetzt werden Flyer verteilt, wird das Gespräch mit Interessent*innen gesucht. Viele gehen vorbei, aber auch viele bleiben stehen. Diskussionen und Dialoge entwickeln sich, Bestürzung macht sich bei manchen breit.
Schnell ist klar: Wie sehr der Hut brennt, wie schlimm es wirklich schon um die Menschheit steht, das ist vielen nicht bewusst. Da werden Köpfe geschüttelt, nicht aus Unverständnis, sondern aus Ratlosigkeit, aus Verzweiflung. Und genau darum sind Aktionen wie diese so wichtig. Veränderung kann erst dann passieren, wenn wir als Gesellschaft, als Menschheit den Ernst der Lage tatsächlich begriffen haben. Glaubt man der Extinction Rebellion, sind es „nur“ 3,5% der Bevölkerung, die mobilisiert werden müssen, um Systemveränderungen herbeizuführen. Und Mobilisierung erfordert nun mal das Aufmerksammachen auf Missstände, so sehr die Erkenntnis manche auch schmerzen mag.
Sind wir die letzte Generation?
Und auch nachdem die Gespräche vorbei sind, die Rosen verschenkt und der Grabstein eingepackt ist, hat die Ortsgruppe OÖ dazu an diesem Tag einen großen Beitrag geleistet. Denn Sind wir die letzte Generation? und Act now wird in großen bunten Buchstaben zwischen den Umrissen der Toten stehen geblieben sein, bis der nächste Sommerregen die Kreide weggewaschen hat. Und hoffentlich noch einige Passant*innen zum Nachdenken angeregt haben.