Muss ich besitzen um zu leben
Aus dem Leben

Meinung: Geld oder Leben?

Muss ich besitzen, um erwachsen zu sein?

Während ich mir den dritten Tag in Folge Nudeln mit Fertigpesto anrichte, beschäftigt mich wieder einmal ein Gedanke, der sich in regelmäßigen Abständen einschleicht: Die Frage „Geld oder Leben“? Anders gesagt: wie viel Sicherheit im Leben notwendig ist und wie viel davon ein normaler, nicht ganz spießiger Mensch aushält.

Muss man eine Wohnung kaufen? Und braucht man unbedingt zwei Autos?

Irgendwie scheine ich im Erwachsenenleben noch nicht richtig angekommen zu sein: Während meine Freund*innen links und rechts in nahezu manischer Manier Eigentum anhäufen und ihren finanziellen Wert in Krediten messen, bezahle ich monatlich meine Miete. Und während Bekannte die Silvester-Liste abarbeiten („Heuer bekomme ich ein Firmen-Auto“), gehe ich immer weiter weg von dem „Etwas besitzen wollen“. Die Frage ist und bleibt aber: Muss man irgendwann ab Mitte zwanzig zwangsläufig eine Wohnung kaufen? Und warum? Und wie soll man sich das in Salzburg leisten? Oder muss ich jetzt in die Pampa ziehen, um mir den Traum vom Eigenheim zu erfüllen, der nicht meiner ist?

Die Eltern würden sagen: Ja, das wäre g’scheit. Sie würden mir gratulieren, wenn ich mir endlich den riesigen Flatscreen-TV kaufen würde, auf dem ich dann am Sonntag Skirennen schauen kann. Schließlich muss man ja informiert sein, wenn Marcel Hirscher zum 1000. Mal gewinnt. Dass jede*r in seinem eigenen, viel zu großen Einfamilienhaus dem Hirscher beim Fahren zuschaut, während über die Nachbar*innen gelästert wird, muss an dieser Stelle nicht erwähnt werden.

Superstar kann ich nicht mehr werden, aber Marketingleiterin

Letztens hat mir ein Freund eine Geschichte erzählt, die in seiner Firma wirklich passiert ist: Nachdem einer seiner Kollegen dort 30 Jahre brav geschuftet hat, ist er eines Tages nach einem Meeting einfach wortlos zum Fenster gegangen, hat es aufgemacht und ist rausgesprungen. Keine Sorge, er hat’s überlebt. Aber gut geht es diesem Menschen wohl trotzdem nicht.

Mit Ende 20, Anfang 30 muss ich mir aktuell eingestehen, dass ich in meinem Leben nicht mehr alles werden kann. Zum Beispiel Superstar, Profi-Fußballerin oder Modell. Aber ich könnte noch die Marketingleitung übernehmen, in einer Firma, die zum Beispiel Hundefutter herstellt. Klingt nicht spannend – vor allem, weil ich Hunde nicht sonderlich leiden kann. Aber man verdient sicher gut. Und dann kann man sich für 30 Jahre einen Kredit aufnehmen, um das Haus in Abtenau oder wo auch immer zu bezahlen.

Frage ich Leute in meinem Umfeld, ob sie finden, dass das eine schöne Perspektive ist, nicken die meisten. Man muss ja auch mal erwachsen werden, Karriere machen, was besitzen, Verantwortung übernehmen, im Grundbuch stehen. Wo ich in fünf Jahren sein will, kommt dann oft. Und ich denke mir, eigentlich genau hier. In einem Leben, in dem ich jeden Tag zufrieden aufwache und ins Bett gehe, gut schlafe. Ganz oft neue Dinge mache, die ich mir nicht zutraue und dann in einigen Fällen sogar schaffe. Mit der Option auf eine turbulente Zukunft. Versteht mich nicht falsch, ich bin nicht naiv. Ich weiß, dass ich einen Pensionsplan brauche. Wenn nicht ich, wer dann? Ich bin eine sogenannte Neue Selbstständige in der Kreativbranche, weiblich, ohne reiches Elternhaus oder Programmierkenntnisse und Mandarin spreche ich auch nicht. Kurz gesagt: Meine Altersarmut ist so vorhersehbar wie der nächste Stockerlplatz von Marcel H.

Job, Haus und Hirscher: Können gern die anderen haben

Ich will aber trotzdem nicht Marketingleiterin für Hundefutter werden. Ich will nicht 500.000 Euro und mehr Schulden aufnehmen. Ich möchte nicht neben meinen Eltern ein Haus bauen und ich will Marcel Hirscher nicht beim Gewinnen einer Sportart zuschauen, die mir wurscht ist. Auch wenn ich ihm jeden Erfolg gönne, nur damit wir uns nicht falsch verstehen.

Ihr werdet jetzt sagen: Aber wenn du das alles nicht willst, musst du es ja nicht machen. Du bist ja frei. Das stimmt schon. Aber: Warum tun es alle um mich herum und warum finden immer mehr Freund*innen, dass das der richtige Weg ist? Warum schauen mich heute genau jene Leute mitleidig an, mit denen ich noch vor ein paar Jahren hingebungsvoll Nudeln mit Fertigpesto schnabuliert habe? Wieviel Sicherheit ist notwendig? Warum wollen alle ein viel zu großes Haus besitzen? Und wann lässt der Marcel Hirscher endlich mal einen anderen gewinnen?


Dieser Artikel ist zuerst auf fraeuleinflora.at/salzburg erschienen.

Fräulein Flora Linz gönnt sich eine Auszeit

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