Singles sind per se ständig fuckable, Paare sollten mindestens ein Mal pro Woche
miteinander schlafen: Warum Statistiken beim Sex völlig überbewertet sind.
„So viel Sex ist je nach Altersgruppe normal“, „So viel Sex sollten Paare pro Woche haben“: Wer sich Online-Artikel zum Thema Sex durchliest, braucht starke Nerven und eine noch stärkere Libido. Denn Sex, so scheint es, wurde zur neuen Trendsportart einer leistungsorientierten, erfolgsgetriebenen Generation degradiert. Ein weiterer Bereich im Leben eines Yuppies, der optimiert werden muss. Ziemlich unsexy.
Es ist paradox: Fragen, die die Quantität betreffen, also mit wie vielen Menschen man schon im Bett war oder wie oft man es tut, scheinen viel wichtiger, als Fragen nach der Qualität des letzten horizontalen Tangos. Die schönste Nebensache der Welt ist zum Vergleichsbarometer geworden.
Nur… ein Vergleich wofür?
Hauptsache „normal“
Sex ist omnipräsent. In der Werbung, in Filmen, Musik, Politik, Wissenschaft, Religion. Wie man es tun muss, geben Pornos vor. Wie oft man es tun sollte und welche neuen Stellungen garantiert zum Orgasmus führen, erklärt der Online-Artikel samt ironischer Gifs. Sex quantifizierbar zu machen, scheint angesichts der Tatsache, dass der Mensch ein immenses Bedürfnis hat, nicht aus der Norm zu fallen (oder nur so weit aus der Norm zu fallen, dass alles irgendwie noch im
Rahmen ist) gerechtfertigt. Aber ein Thema, über das man schon alles und noch mehr zu wissen glaubt, hinterlässt uns jedes Mal aufs Neue ratlos.
Denn was niemand laut sagt: Erstens, das Lustempfinden eines Menschen variiert ständig und ist von vielen (externen) Faktoren abhängig und zweitens muss man nicht die ganze Zeit und regelmäßig Sex haben, um ein sexuelles Wesen zu sein – oder „normal“.
Der „Ausleben“-Stress
Eine ganze Generation junger Erwachsener kann sich stundenlang im Internet über Achselhaare bei Frauen empören, es schockt aber niemanden mehr, wenn Menschen auf Tinder nach Partnern für was auch immer suchen: Schließlich muss man sich „ausleben, „Erfahrungen sammeln“ und herausfinden, was einem gefällt – auch, wenn man das vielleicht schon längst weiß.
Von Singles wird erwartet, ständig und überall fuckable zu sein.
Wer in einer Beziehung ist, dem wird suggeriert, nur dann eine funktionierende Beziehung zu haben, wenn regelmäßiger Sex auf dem Plan steht, der den Erwartungen einer sexuell aufgeschlossenen Gesellschaft entspricht. Irgendwie klingt das nicht nach einer aufregenden Reise ins Abenteuerland der eigenen Sexualität – sondern nach Stress.
Wenn ein junger Mensch beschließt, für einige Wochen, Monate oder sogar Jahre auf Sex oder ständig wechselnde Sexualpartner zu verzichten, dann wirft man ihm mitleidige Blicke zu. Abstinenz ist nicht sonderlich sexy. Dabei könnte man die eine oder andere Sex-Pause doch dazu nutzen, um über vergangene Liebschaften nachzudenken, sie zu verdauen und sich selbst wieder in Ordnung zu bringen.
Keine Lust oder keinen Kopf für Sex zu haben macht nicht automatisch ein asexuelles Wesen aus einem. Ein Paar, das stressige Wochen durchmacht und wenig Zeit für sich hat, hat auch nicht gleich eine mittelschwere Beziehungskrise, nur weil Sex gerade zu kurz kommt.
In einer Zeit, in der vor allem beim Thema Sex so viel Entstigmatisierung, was bestimmte Vorlieben betrifft, betrieben wird, gilt es noch immer als kurios, wenn man Sex eine Zeit lang vernachlässigt – weil man müde ist, keine Lust hat, gestresst ist oder andere Dinge im Kopf hat, die eben gerade wichtiger sind. Dabei ist Sex eben nur das, was es ist: die schönste Nebensache der Welt. ¶
Dieser Text ist im Original im QWANT. Magazin (Ausgabe 4/2018) erschienen. Sinah Edhofer ist Journalistin und schreibt auf theblackshirtblog.com über no fake shit und just realness.
Singles sind per se ständig fuckable, Paare sollten mindestens ein Mal pro Woche
miteinander schlafen: Warum Statistiken beim Sex völlig überbewertet sind.
„So viel Sex ist je nach Altersgruppe normal“, „So viel Sex sollten Paare pro Woche haben“: Wer sich Online-Artikel zum Thema Sex durchliest, braucht starke Nerven und eine noch stärkere Libido. Denn Sex, so scheint es, wurde zur neuen Trendsportart einer leistungsorientierten, erfolgsgetriebenen Generation degradiert. Ein weiterer Bereich im Leben eines Yuppies, der optimiert werden muss. Ziemlich unsexy.
Es ist paradox: Fragen, die die Quantität betreffen, also mit wie vielen Menschen man schon im Bett war oder wie oft man es tut, scheinen viel wichtiger, als Fragen nach der Qualität des letzten horizontalen Tangos. Die schönste Nebensache der Welt ist zum Vergleichsbarometer geworden.
Hauptsache „normal“
Sex ist omnipräsent. In der Werbung, in Filmen, Musik, Politik, Wissenschaft, Religion. Wie man es tun muss, geben Pornos vor. Wie oft man es tun sollte und welche neuen Stellungen garantiert zum Orgasmus führen, erklärt der Online-Artikel samt ironischer Gifs. Sex quantifizierbar zu machen, scheint angesichts der Tatsache, dass der Mensch ein immenses Bedürfnis hat, nicht aus der Norm zu fallen (oder nur so weit aus der Norm zu fallen, dass alles irgendwie noch im
Rahmen ist) gerechtfertigt. Aber ein Thema, über das man schon alles und noch mehr zu wissen glaubt, hinterlässt uns jedes Mal aufs Neue ratlos.
Denn was niemand laut sagt: Erstens, das Lustempfinden eines Menschen variiert ständig und ist von vielen (externen) Faktoren abhängig und zweitens muss man nicht die ganze Zeit und regelmäßig Sex haben, um ein sexuelles Wesen zu sein – oder „normal“.
Der „Ausleben“-Stress
Eine ganze Generation junger Erwachsener kann sich stundenlang im Internet über Achselhaare bei Frauen empören, es schockt aber niemanden mehr, wenn Menschen auf Tinder nach Partnern für was auch immer suchen: Schließlich muss man sich „ausleben, „Erfahrungen sammeln“ und herausfinden, was einem gefällt – auch, wenn man das vielleicht schon längst weiß.
Von Singles wird erwartet, ständig und überall fuckable zu sein.
Wer in einer Beziehung ist, dem wird suggeriert, nur dann eine funktionierende Beziehung zu haben, wenn regelmäßiger Sex auf dem Plan steht, der den Erwartungen einer sexuell aufgeschlossenen Gesellschaft entspricht. Irgendwie klingt das nicht nach einer aufregenden Reise ins Abenteuerland der eigenen Sexualität – sondern nach Stress.
Wenn ein junger Mensch beschließt, für einige Wochen, Monate oder sogar Jahre auf Sex oder ständig wechselnde Sexualpartner zu verzichten, dann wirft man ihm mitleidige Blicke zu. Abstinenz ist nicht sonderlich sexy. Dabei könnte man die eine oder andere Sex-Pause doch dazu nutzen, um über vergangene Liebschaften nachzudenken, sie zu verdauen und sich selbst wieder in Ordnung zu bringen.
In einer Zeit, in der vor allem beim Thema Sex so viel Entstigmatisierung, was bestimmte Vorlieben betrifft, betrieben wird, gilt es noch immer als kurios, wenn man Sex eine Zeit lang vernachlässigt – weil man müde ist, keine Lust hat, gestresst ist oder andere Dinge im Kopf hat, die eben gerade wichtiger sind. Dabei ist Sex eben nur das, was es ist: die schönste Nebensache der Welt. ¶
Dieser Text ist im Original im QWANT. Magazin (Ausgabe 4/2018) erschienen. Sinah Edhofer ist Journalistin und schreibt auf theblackshirtblog.com über no fake shit und just realness.