Fräulein Flora

Reden über Dinge, über die man lieber schweigen würde

Anna Lena ist 15 Jahre alt, als sie mit Morbus Crohn diagnostiziert wird. Morbus Crohn ist eine sogenannte CED, eine chronisch entzündliche Darmkrankheit, die den gesamten Verdauungstrakt betrifft. Vom Mund bis zum After, häufig auch Dünn- und Dickdarm. Heftiger Durchfall, Bauchkrämpfe, übermäßiger Stuhldrang oder Müdigkeit – das alles sind Symptome, die Anna Lena sehr früh im Leben betreffen. „Anfangs war man sich gar nicht so sicher, ob ich an Morbus Crohn leide, einfach, weil ich sehr jung war und die Krankheit eher bei älteren Menschen diagnostiziert wurde“, erzählt Anna Lena. Mittlerweile ist sie 23 Jahre alt und die Diagnose ist bestätigt. Der Weg hierher war allerdings ein langer. 

"Mir war es einfach peinlich. In unserer Gesellschaft wird es nicht gern gehört, wenn jemand über Verdauung spricht. Viele denken, Verdauung sei etwas Persönliches."

Wie hat das alles angefangen?

Als Anna Lena mit 14 Jahren nach der Hauptschule ins Internat wechselt, war das erstmal eine riesige Umstellung. Viel Stress, Perfektionismus und jede Menge Hobbies: Ohne es zu wollen, verlor Anna Lena Gewicht. Eine Nahrungsmittelunverträglichkeit wurde vermutet. „Da durfte ich dann ganz viele Lebensmittel nicht mehr essen, ich habe noch mehr Gewicht verloren, bin in eine Essstörung gerutscht. Nach und nach tauchten schmerzhafte Symptome auf: Durchfall, Blut im Stuhl und Schmerzen. Über ein halbes Jahr dauert es, bis Anna Lena sich traut, ihrer Mutter bescheid zu sagen. „Mir war das einfach peinlich. In unserer Gesellschaft wird es nicht gern gehört, wenn man über Verdauung spricht, viele denken, Verdauung sei etwas Persönliches“, sagt Anna Lena. Als sie sich endlich ihrer Mutter anvertraut, handelt diese schnell und bringt Anna Lena mit Ärzt*innen in Kontakt, die ihre Krankheit schlussendlich erkennen. 

Anna Lena denkt sich nichts mehr, wenn sie über Verdauung spricht. Finden wir gut, mehr davon

Kacken ist normal!

Woher CED kommen, das weiß man (noch) nicht so genau. Ursachen werden vermutet in der genetischen Veranlagung, in der Ernährung, im Stresslevel. Was aber genau z. B. Morbus Crohn auslöst, ist unklar. Tatsache ist: Wer mit chronisch entzündlichen Darmkrankheiten kämpft, wird über kurz oder lang sein Umfeld „einweihen“ müssen. Denn: „Morbus Crohn verläuft in Schüben und man weiß nie genau, wann diese Schübe kommen bzw. wie schlimm sie sein werden“, sagt Anna Lena. Wer sich in einem solchen Schub befindet, vermehrten Stuhldrang hat, Schmerzen und Krämpfe, der muss seine Dates, seine Arbeit, etc. absagen. Weiß das Umfeld bescheid, kann es darauf eingehen. „Man muss ja nicht immer in die Tiefe gehen und jedes Detail erklären“, meint Anna Lena. Aber: „Ich möchte endlich das Tabu brechen. Verdauung ist etwas Natürliches.“ Und ja, Kacken ist normal. So normal, dass es zum Motto der Selbsthilfegruppe für Darmgesundheit Salzburg erhoben wurde.

Eine Selbsthilfegruppe für Menschen mit CED

Über Umwege lernt Anna Lena Ivan kennen, der selbst im Thema „Darmgesundheit“ aktiv ist und der sie mit der „Selbsthilfegruppe Darmgesundheit mit Schwerpunkt auf chronisch entzündlichen Darmerkrankungen“ in Salzburg bekannt macht. Mittlerweile engagiert sich Anna Lena mit Ivan, Lisbeth und Sofija für mehr Aufklärung und gibt ihr Wissen an alle weiter, die es brauchen. „Wir sind aktiver als andere Selbsthilfegruppen, die Leute sollen sich bei uns wohlfühlen. Wir sitzen nicht nur im Sesselkreis, sondern wollen auch Angebote mit Tiefgang schaffen. Am 2. Oktober 2024 kommt beispielweise eine Diätologin, die der Gruppe Zusammenhänge zwischen Ernährung und Körpergefühl erklärt. Zuerst wird besprochen und dann kochen wir gemeinsam – damit die Leute auch gleich wissen, wie das in der echten Welt aussieht.“

Vom Tabu zum Alltagsthema

Früher, sagt Anna Lena, hat sie sich nicht getraut, über ihre Krankheit zu sprechen. Dann, nach zahlreichen Arztterminen und der Lektüre vieler Bücher hat sie verstanden: „Irgendwann kann man nicht mehr peinlich berührt sein. Ich muss aussprechen, was mir fehlt, was mir wehtut, sonst kann mir keiner helfen.“ Und außerdem: Viele haben Symptome, schämen sich aber, darüber zu reden und bleiben mit und in ihrem Schmerz allein. Wer diesen Beitrag liest und sich denkt: Ja, das kenn ich, das ist bei mir auch so, kann mit dem Verdacht und einem Namen zum Arzt/zur Ärztin gehen. Und vielleicht feststellen, was gefehlt hat. 

Auch Lisbeth, Ivan und Sofija engagieren sich ehrenamtlich mit Anna Lena in der Selbsthilfegruppe Darmgesundheit.

Und jetzt nochmal zum Schluss gemeinsam: Kacken ist normal. Wie so vieles andere auch.

Wer sich jetzt denkt: Ja, das betrifft mich, liest weiter:

Die Selbsthilfegruppe Darmgesundheit trifft sich das nächste Mal am 2. Oktober 2024. Es gibt eine Whatsappgruppe, es gibt eine Mailadresse und wenn ihr euch das einmal anschauen wollt: Tut es. Es wird über Darmgesundheit mit dem Schwerpunkt auf chronisch entzündliche Darmerkrankungen gesprochen und gearbeitet. Neben Morbus Crohn sind in der Teamleitung auch Personen mit Colitis ulcerosa (Ileostoma). 

Fotos: Anna Lena/ Selbsthilfegruppe für Darmgesundheit

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