Marie Kondo ist nicht die einzige Aufräumexpertin, aber mit Abstand die erfolgreichste. Millionen von Menschen hat sie mit ihrem Ordnungsfieber schon infiziert. Ordnung als oberste Maxime der Problembewältigung, ist das wirklich nötig? Ein Plädoyer für das Chaos.
Das New York TIMES Magazine hat Marie Kondo zu einer der 100 einflussreichsten Menschen der Welt erkoren. Ihre Bücher zum Magic Cleaning gehen weg wie warme Semmeln und seit Jänner 2019 schauen ihr Millionen von Menschen auf Netflix dabei zu, wie sie verzweifelten Amerikaner*innen beim Ausmisten hilft und mit den Müllsäcken auch deren Probleme verschwinden lässt.
Möchte man der Reality Show „Aufräumen mit Marie Kondo“ glauben, ist das auch gar nicht so schwer: Gemäß der KonMari- Methode soll man das eigene Hab und Gut nach Kategorien sortieren: Kleidung, Bücher, Papier, Küche und Bad und letzten Endes Erinnerungsstücke. Mit einer einfachen Berührung wird festgestellt, ob das Stück Glücksgefühle auslöst („does this item spark joy?“). Ein Nein wird dankend entsorgt, ein Ja im Anschluss geordnet in Boxen eingeräumt und verstaut. Von Boxen und Kisten wimmelt es nämlich überall. Marie Kondo hat Ikea bestimmt einen großen Gefallen getan.
Die Ordnungsphilosophie der Japanerin besagt, dass Ordnung im Heim auch Ordnung im Herzen bedeutet. Soweit so gut. Zugegeben, gestapeltes schmutziges Geschirr nach Feierabend löst Stress und Unbehagen aus und ein überfüllter Kleiderschrank lässt sich auch nicht entspannt wegdenken. Und das Bewusstsein gegenüber Besitz und Überfluss zu schulen ist in konsumgeplagten Gesellschaften ein fortschrittlicher Gedanke. Aber dass Marie Kondo genau dort ansetzt, Menschen Glück durch Ordnung zu suggerieren, ist nur ein weiterer Hieb in die Selbstoptimierungskerbe.
Dass Marie Kondo genau dort ansetzt, Menschen Glück durch Ordnung zu suggerieren, ist nur ein weiterer Hieb in die Selbstoptimierungskerbe.
Wie etwa bei der Familie Friends, die Kondo in Folge eins besucht. Mit zwei Kleinkindern und berufstätigen Eltern „kriegen sie das mit dem Haus nicht gebacken“. Der Vater ist müde und frustriert, die Beziehung zu seiner Partnerin abgekühlt. Das Chaos ist zu einer existentiellen Not gewachsen. Bis Marie Kondo in die Wohnung schwebt wie Erzengel Gabriel und mit ihrem Hundertzähnelachen Ehe- und Familienglück rettet. Es ist ganz einfach: Das Glück fühlt sich an, wie einen Hundewelpen zu streicheln, sagt sie. Sie schickt die Mutter in die Küche, den Vater in die Garage (Geschlechterrollen hurra), und hilft dem Paar, ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen. Am Ende läuft das so gut, dass die Familie auch getrost auf die zusätzliche Haushälterin verzichten kann. Es ist ja schließlich ganz einfach.
Und weil es so einfach ist, wird Ordnung zur obersten Priorität. Ein Gag, der in reizüberfluteten Zeiten bestens funktioniert. Banalitäten wie Putzen und Aufräumen rücken in den Fokus, wo vor einiger Zeit noch Achtsamkeit und Meditation die innere Balance wiederherstellen sollten. Und so wird ein Biedermeier-Ideal aufpoliert, das wir längst in den Fünfzigerjahren zurückgelassen haben sollten. Abgesehen davon, dass ich mir nur schwer vorstellen kann, bei der Berührung meines Kabelsalats unter dem Schreibtisch Glücksgefühle oder Gegenteiliges empfinden zu können, will ich es auch gar nicht.
Für akkurat zusammengedrehte Socken und Hosen und der Größe nach geordneten Kochutensilien sollte uns die Zeit zu kostbar sein. Der Bücherstapel am Nachtkästchen gehört nicht aussortiert, sondern endlich gelesen. Anstatt Gefühlsregungen für Gebrauchsgegenstände zu entwickeln, sollten wir unsere Aufmerksamkeit Menschen schenken, die uns guttun, uns darauf konzentrieren, was wir wissen, lernen, entdecken wollen. Und wer ausmisten will, soll es gern tun. Dem eigenen Wohlbefinden zuliebe, meinetwegen. Es kann durchaus erleichternd und befreiend sein, die Kisten im Keller auszuräumen. Aber Ordnung muss keine Religion sein. Lassen wir die Kirche im Dorf und das Chaos im Kleiderschrank.
Dieser Artikel ist von Veronika Ellecosta und erschien ursprünglich auf Fräulein Flora Salzburg.
Marie Kondo ist nicht die einzige Aufräumexpertin, aber mit Abstand die erfolgreichste. Millionen von Menschen hat sie mit ihrem Ordnungsfieber schon infiziert. Ordnung als oberste Maxime der Problembewältigung, ist das wirklich nötig? Ein Plädoyer für das Chaos.
Das New York TIMES Magazine hat Marie Kondo zu einer der 100 einflussreichsten Menschen der Welt erkoren. Ihre Bücher zum Magic Cleaning gehen weg wie warme Semmeln und seit Jänner 2019 schauen ihr Millionen von Menschen auf Netflix dabei zu, wie sie verzweifelten Amerikaner*innen beim Ausmisten hilft und mit den Müllsäcken auch deren Probleme verschwinden lässt.
Möchte man der Reality Show „Aufräumen mit Marie Kondo“ glauben, ist das auch gar nicht so schwer: Gemäß der KonMari- Methode soll man das eigene Hab und Gut nach Kategorien sortieren: Kleidung, Bücher, Papier, Küche und Bad und letzten Endes Erinnerungsstücke. Mit einer einfachen Berührung wird festgestellt, ob das Stück Glücksgefühle auslöst („does this item spark joy?“). Ein Nein wird dankend entsorgt, ein Ja im Anschluss geordnet in Boxen eingeräumt und verstaut. Von Boxen und Kisten wimmelt es nämlich überall. Marie Kondo hat Ikea bestimmt einen großen Gefallen getan.
Die Ordnungsphilosophie der Japanerin besagt, dass Ordnung im Heim auch Ordnung im Herzen bedeutet. Soweit so gut. Zugegeben, gestapeltes schmutziges Geschirr nach Feierabend löst Stress und Unbehagen aus und ein überfüllter Kleiderschrank lässt sich auch nicht entspannt wegdenken. Und das Bewusstsein gegenüber Besitz und Überfluss zu schulen ist in konsumgeplagten Gesellschaften ein fortschrittlicher Gedanke. Aber dass Marie Kondo genau dort ansetzt, Menschen Glück durch Ordnung zu suggerieren, ist nur ein weiterer Hieb in die Selbstoptimierungskerbe.
Wie etwa bei der Familie Friends, die Kondo in Folge eins besucht. Mit zwei Kleinkindern und berufstätigen Eltern „kriegen sie das mit dem Haus nicht gebacken“. Der Vater ist müde und frustriert, die Beziehung zu seiner Partnerin abgekühlt. Das Chaos ist zu einer existentiellen Not gewachsen. Bis Marie Kondo in die Wohnung schwebt wie Erzengel Gabriel und mit ihrem Hundertzähnelachen Ehe- und Familienglück rettet. Es ist ganz einfach: Das Glück fühlt sich an, wie einen Hundewelpen zu streicheln, sagt sie. Sie schickt die Mutter in die Küche, den Vater in die Garage (Geschlechterrollen hurra), und hilft dem Paar, ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen. Am Ende läuft das so gut, dass die Familie auch getrost auf die zusätzliche Haushälterin verzichten kann. Es ist ja schließlich ganz einfach.
Und weil es so einfach ist, wird Ordnung zur obersten Priorität. Ein Gag, der in reizüberfluteten Zeiten bestens funktioniert. Banalitäten wie Putzen und Aufräumen rücken in den Fokus, wo vor einiger Zeit noch Achtsamkeit und Meditation die innere Balance wiederherstellen sollten. Und so wird ein Biedermeier-Ideal aufpoliert, das wir längst in den Fünfzigerjahren zurückgelassen haben sollten. Abgesehen davon, dass ich mir nur schwer vorstellen kann, bei der Berührung meines Kabelsalats unter dem Schreibtisch Glücksgefühle oder Gegenteiliges empfinden zu können, will ich es auch gar nicht.
Für akkurat zusammengedrehte Socken und Hosen und der Größe nach geordneten Kochutensilien sollte uns die Zeit zu kostbar sein. Der Bücherstapel am Nachtkästchen gehört nicht aussortiert, sondern endlich gelesen. Anstatt Gefühlsregungen für Gebrauchsgegenstände zu entwickeln, sollten wir unsere Aufmerksamkeit Menschen schenken, die uns guttun, uns darauf konzentrieren, was wir wissen, lernen, entdecken wollen. Und wer ausmisten will, soll es gern tun. Dem eigenen Wohlbefinden zuliebe, meinetwegen. Es kann durchaus erleichternd und befreiend sein, die Kisten im Keller auszuräumen. Aber Ordnung muss keine Religion sein. Lassen wir die Kirche im Dorf und das Chaos im Kleiderschrank.
Dieser Artikel ist von Veronika Ellecosta und erschien ursprünglich auf Fräulein Flora Salzburg.