Kultur Rausgehen

Ich war nach über 15 Jahren das erste Mal wieder am Urfahrmarkt

Unsere Redakteurin war zum ersten Mal nach 15 Jahren wieder am Urfix.

Wie viele Stahlstadtkinder habe auch ich ganz frühe Erinnerungen an den Urfahrmarkt. An meine Oma, die mich schon im Kindergarten dorthin eingeladen hat. An Heliumluftballons in Hasenform, die ich noch tagelang über meinem Bett hängen hatte. Schiffschaukeln, rosarote Plastikponys und Schartnerbombe. Später als Hauptschülerin nach Schulschluss extra cool, an der Schwelle zur Pubertät: Bauchtascherl, Tagada, ein bissl den Jungs beim Autodromfahren zusehen, heimlich unten bei der Donau verstecken zum Rauchen.

Über 15 Jahre vergehen. Fünfzehn Jahre, die ich zum größten Teil nicht in Linz verbracht habe, sondern andernorts. Und auch dort habe ich Jahrmärkte, Volksfeste und Bierzelte erfolgreich gemieden. Es ist einfach nicht mehr meins. Aber seit ich wieder in Linz wohne, habe ich immer ein bisschen mit dem Urfahrmarkt geliebäugelt. Vielleicht aus Nostalgie, vielleicht, weil es einen nach langer Zeit der Abwesenheit ganz automatisch zu den Orten zurückzieht, die einem vertraut sind, vielleicht aus purem Masochismus. Vielleicht aber auch nur deswegen, weil es in der Urfahrmarktsaison bis zur Rudolfstraße so gut nach Bratwürsteln riecht, wenn der Wind richtig steht.

Gemma Urfix?

Es dauert etwas, bis ich jemanden finde, der mich begleitet. Meine Mutter fragt mich, ob ich einen Vogel habe. Eine Jugendfreundin, mit der ich als Teenagerin doch einige gute Stunden am Urfix verbracht habe, erklärt sich aber doch dann bereit, sich mir anzuschließen. Statt unseren Bauchtascherln, Fishbone-Shirts und Nokia 3210s, haben wir ihren Ehemann und ihren kleinen Sohn dabei, als wir uns an einem verregneten Donnerstagnachmittag vor der Stadtwerkstatt treffen, um gemeinsam in das Paralleluniversum Urfahrmarkt einzutauchen.

Schon beim Betreten des Areals ist es eine Zeitreise. Der Geruch nach Langos und nach Zuckerwatte, diese vertraute Geräuschkulisse. Ein Konglomerat aus dem Scheppern von zu Boden fallenden Dosen, das Klacken der Munition der Luftdruckgewehre, wenn sie ihr Ziel trifft. Kinderlachen mischt sich mit den Werbesprüchen der Budenbetreiber und Animateure an den Fahrgeschäften („Wir sind die Sieger von der Firma Rieger, uns gehören fast alle Karusselle hier!“). Das Rattern der Achterbahnschienen, fast zur Gänze übertönt von den besten Hits von Andreas Gabalier und Gigi D’Agostino. Als wir gerade an dem Autodrom im Zentrum des Urfix vorbeispazieren, dröhnt Eiffel 65 aus den Boxen. „Da hat sich die Musik in den letzten zwanzig Jahren auch nicht geändert“, sagt meine Freundin. Passt zu dem Autodrom, an das wir uns auch seit unserer Kindheit erinnern können und dessen Baujahr wir irgendwo in den 70ern vermuten.

Alles wie früher und alles ganz anders

Auf dem Tagada beeindrucken sich wie vor zwanzig Jahren noch die coolen Kids gegenseitig mit ihren Gleichgewichtsskills, nur filmen sie das ganze jetzt mit dem Smartphone und sind sichtlich angepisst darüber, dass der Soundtrack zu ihrer Selbstinszenierung ausgerechnet das Biene-Maja Lied des wenige Tage zuvor verstorbenen Karel Gott ist.  An den Schießbuden gibt’s noch immer die selben Plastikrosen und Plüschbären, einzig die Fassaden haben sich geändert. Statt wie in meiner Kindheit mit den Konterfreien von Bud Spencer, Terence Hill und Indiana Jones dekoriert, lächeln einem jetzt die wenig schmeichelhaften Airbrushportraist von Harley Quinn und Neo entgegen, sollen dazu animieren, selbst zum Luftdruckgewehr zu greifen oder zum Bogen.

Was mir sofort auffällt, ist die Abwesenheit von „X-Treme“, meinen absoluten Lieblingsfahrgeschäft als Teenagerin. Ich hätte gerne herausgefunden, ob es mir immer noch so Spaß macht, kopfüber in einer irren Geschwindigkeit herumgeschleudert zu werden. Ich weiß noch, dass ich mir damals währenddessen immer vorgestellt habe, ich sei eine Superheldin, die irgendwo durchs Universum fliegt. Stattdessen schlüpfe ich heute in die Rolle der Kinderbespaßerin und beginne das lustige Urfahrmarktleben mit einer Fahrt am Kinderkarussell, wo ich dem Kleinsten in unserer Runde Gesellschaft leiste. Brav in der Mitte stehend, nachdem mir der Karussellwart ruppig erklärt,  dass ich mich an dem Jeep, den sich mein Begleiter als sein Fahrzeug ausgesucht hat, nicht mal anlehnen darf. Nach drei Minuten sich im kreis drehender Aufsichtspflicht ist mir schlecht und richtig kalt.

Dann möchte das Kind in unserer Runde mit dem Riesenrad fahren und in guter, alter Urfahrmarkttradition bekommt es auch, was es will. Es freut sich, hüpft vor Aufregung in der Warteschlange, während meine Freundin und ich uns mit Blicken auf die abgeblätterte Farbe an Gerüst aufmerksam machen, die Augen verdrehen, wenn in der Playlist der nächste chauvinistische Schlagerhit kommt und uns ernsthaft leise darüber unterhalten, dass es uns interessieren würde, wie alt die Fahrgeschäfte alle sind und wie oft sie gewartet werden. Über dieses erwachsene Gesprächsthema müssen wir dann schon ein bisschen lachen, als wir es realisieren.Die Fahrt ist dann doch nicht so aufregend, auch das Kind scheint nicht begeistert. Irgendwie sind wir alle noch nicht so ganz überzeugt von unserem Besuch.

Jetzt aber: Die Kulinarik

Das soll sich aber schnell ändern. Sobald man nämlich bereit ist, den Vorsatz nach gesunder Ernährung für einen Nachmittag über den Haufen zu werfen, ist der Urfix ein – kulinarisches – Paradies geworden. „ Das Essen ist eh das Einzige, was einen Reiz hat“, sagt meine Freundin, beißt in ihr Dim Sum. Ich nicke, zufrieden an meinem Raclettekäsebrot kauend. Auch das Alkoholangebot ist breit gefächert. Ich zähle Bier von vier Brauereien, sehe zahlreiche Schnäpse zur Auswahl, es gibt sogar Mojito to go.  Wir sind aber da klassischer unterwegs und verziehen uns ins Bierzelt, wo sich bald wieder meine Unerfahrenheit Volksfeste betreffend manifestiert.

„ Das Essen ist eh das Einzige, was einen Reiz hat“, sagt meine Freundin, beißt in ihr Dim Sum.

Naiv wie ich bin, hätt ich gern ein Seiterl getrunken, es ist immerhin Nachmittag. Nein, gibt es nicht. Maß oder Halbe, okay. Ich trinke also ein großes Bier und nehme die doch eher maue Stimmung im Bierzelt auf. Riesig ist es, aber nur zu einem Drittel besetzt. Schon jetzt prosten sich am Nebentisch die kichernden Ü50-Damen zu, die obligatorische Polterrunde ist auch am Start. Gestandene Männer aus dem Mühlviertel, ihre hawaiianischen Blumenketten bilden einen radikalen Kontrast zu den „Homatland“ Stickereien, die sich gemeinsam mit dem Bundeswappen über ihre starken Rücken und runden Bäuche spannen. Ja, auch das kann man hier am Urfahrmarkt kaufen: T-Shirts, Pullis und Hauben mit schönen patriotischen Sprüchen und Stickereien. Einen ganzen Stand davon gibt es. Als ich im Vorbeigehen vorher einen der Pullover berührt habe, um zu testen, ob er so flauschig ist, wie er aussieht, höre ich den Verkäufer lachend zu einem Kunden sagen: „ Na, ka Sorge, mit dem hält di kana für an Sozi!“

Genau in der Mitte zwischen Kindergeburtstag und Verkehrsunfall

Nach dem Bier bin ich mutiger. Mit einem der Fahrgeschäfte habe ich schon den ganzen Nachmittag geliebäugelt. „No Limits XXL“ nennt es sich, es ist das ganz große, das ganz hohe, das wo drauf steht: 53m, 5g, 120 km/h. Unter den genannten 5g kann ich mir nicht viel vorstellen. Laut Wikipedia ist die g-Kraft die Belastung, die durch die Änderung der Richtung auf einen menschlichen Körper oder ein Ding, das sich in Bewegung befindet, einwirkt. Beim Schaukeln sind es 2,5g, wenn ein Auto mit 30 km/h gegen die Wand fährt sind es 7. Das „No Limit XXL“ bewegt sich in Punkto Belastung also schön in der Mitte zwischen Kindergeburtstag und Verkehrsunfall.  Wenn schon, denn schon denke ich.

Meine Freundin weigert sich. Wie zuvor im „Magic“ ist es ihr Mann, der sich dankenswerter Weise mit mir in das Höllending wagt. Nur acht Leute gleichzeitig passen hinein. Und schon haben wir die Bügel nach unten geklappt, den zusätzlichen Sicherheitsgurt befestigt der Aufseher und nimmt mir auch lachend meinen Schal ab, sagt: „Den verlierst nur“. Und genau als das „No Limits XXL“ beginnt, sich in die Höhe zu schaukeln, regnet es wieder in Strömen. Plötzlich fetzen wir mit einem Hunderter nach unten. Zusätzlich zu den Kreisbewegungen, die die Wippe macht, dreht sich unsere Sitzbank auch noch. Wir hängen kopfüber mehrere Stockwerke über dem Boden, rasen wieder nach unten.

Ich habe Todesangst und den größten Spaß gleichzeitig. Ich schreie nicht, ich brülle. Wann ich das letzte Mal so dermaßen geschrien habe, weiß ich nicht. Ich schreie, bis mir die Luft wegbleibt, dann lache ich wieder, weil die Welt so seltsam aussieht, aus der Höhe und verkehrt herum, so surreal. Meine Haare sind nass und peitschen mir im Abwärtsflug regelrecht ins Gesicht. Ich fühle mich abwechselnd federleicht und tonnenschwer. Das ist gelebte Physik, denke ich mir noch. Und viel zu schnell ist es vorbei, viel zu schnell bremsen wir uns wieder ein und wanken die Stufen nach unten. Mir ist schlecht, aber ich spüre, wie ich strahle, wie ich grinse. Ich fühle mich wie nach einer Stunde Sport, kaputt aber gleichzeitig voller Energie. Mein Herz pumpert irre, mir ist schweinekalt, aber ich kann nicht aufhören zu lachen, komme mir schon blöd vor, weil ich so geflasht bin. Fast möchte ich zurück ins Bierzelt, noch zwei Bier trinken, zum zweiten Mal zum Bankomaten gehen (schweineteuer ist das alles hier!!), noch ein paar Runden mit herrlichen „No Limits XXL“ fahren und im Anschluss ein bissi Gigi D’Agostino und Hulapalu singen.

Das wars mit den Fahrgeschäften, beschließen wir dann trotzdem, denn ganz ehrlich: Was bitte, soll dieses Highlight, diese Grenzerfahrung, noch toppen. Außerdem bin ich nass bis zu den Socken und habe trotz aller unerwarteten Glückshormone noch so viel Selbstliebe, dass ich nicht krank werden möchte. Also verabschieden wir uns voneinander und vom Urfahrmarkt. Es zieht uns heim, unter die heißen Duschen, zum Tee.

Als ich über die Nibelungenbrücke nach Hause gehe und noch einen letzten Blick über die Schulter werfe, noch immer grinsend und so eigenartig leicht, wird mir klar: Die Magie, die der Urfahrmarkt ausstrahlt, ist natürlich jetzt anders, als als Kind, als Teenager. Aber da ist sie immer noch. Und im Frühling, wenn er wieder da ist, werde ich auch da sein. Auf ein Raclettekäsebrot und den nächsten Adrenalinrausch.

Die gebürtige Linzerin hat es erst vor kurzem wieder zurück in die Heimat verschlagen. Schreiben tut sie eigentlich immer: Ob literarisch oder journalistisch ist zweitrangig, in einer Stadt, wo man die Inspiration quasi vor der Haustüre findet.

Fräulein Flora Linz gönnt sich eine Auszeit

Unsere fleißigen Schreiberlinge sind ja alle freiberulich tätig und derzeit in anderen Projekten schwer involviert. Deshalb macht der Blog hier eine kleine Pause. Aber keine Sorge: Alle Tipps bleiben natürlich online und sobald es weitergeht, geben wir euch Bescheid. In der Zwischenzeit könnt ihr gerne bei Fräulein Flora Salzburg vorbeischauen. Dort steppt der Bär umso mehr.

XOXO
eure Fräuleins